Frakturen und Verletzungen
Unterthemen
Klassifikation
Frakturen des zentralen Mittelgesichts:
- Typ Le Fort I:
Abbruch des zahntragenden Teils des Oberkiefers oberhalb des harten Gaumens.
Frakturlinie: Apertura piriformis, laterale Kieferhöhlenwand, Processus pterygoideus des Keilbeins.
- Typ Le Fort II:
Pyramidenfraktur: Abbruch des Oberkiefers mit dem Nasenskelett.
Frakturlinie: Oberhalb oder innerhalb der Nasenbeine, mediale Orbitawand, Fissura orbitalis inferior, Foramen infraorbitale, obere laterale Kieferhöhlenwand, Processus pterygoideus.
Dislokation nach kaudal und dorsal mit Pseudoprogenie und frontal offenem Biss.
Zusätzlich kann eine Sagittalfraktur vorhanden sein, die durch die Gaumenmitte verläuft und den frakturierten Oberkiefer in zwei Hälften teilt. Auch einseitige Brüche kommen vor.
Frakturen des lateralen Mittelgesichts:
- Jochbeinfraktur:
Häufigste Form der lateralen Frakturen.
Frakturlinie: Sutura zygomatico-frontalis, seitliche Orbitawand, Fissura orbitalis inferior, Foramen infraorbitale, obere laterale und dorsale Kieferhöhlenwand.
Dislokation nach medial in die Kieferhöhle und Orbita hinein sowie nach kaudal und dorsal.
- Jochbogenfraktur:
Doppelter Knickbruch mit drei Frakturstellen.
Zygomatico-maxilläre Fraktur:
Jochbein und Alveolarfortsatz des seitlichen Oberkiefers. Frakturlinie: Im Orbitabereich wie Jochbeinfraktur, zusätzlich Foramen infraorbitale, Prämolarenregion, harter Gaumen, Tuber maxillare, Fissura orbitalis inferior.
Dislokation nach kaudal, medial oder nach dorsal.
- Zygomatico-mandibuläre Fraktur:
Jochbein und Processus muscularis und (oder) Processus articularis.
Dislokation wie bei den Einzelfrakturen.
Isolierte Orbitabodenfraktur (blow-out-fracture):
Bei kurzdauerndem Überdruck in der Orbita (z.B. Tennisballverletzung). Der frakturierte Orbitaboden bricht ein, gleichzeitig quillt orbitales Gewebe hernienartig in die Kieferhöhle.
Kombinierte Frakturen des Mittelgesichts:
- Typ Le Fort III:
Meistens Le-Fort-II-Fraktur mit Jochbeinfraktur.
Zusätzlich Sagittalfraktur und Le-Fort-I-Fraktur möglich. Auch einseitige Frakturen oder doppelseitige Le-Fort-II-Frakturen in Kombination mit einseitiger Jochbeinfraktur kommen vor.
Le-Fort-III-Frakturen, bei denen Oberkiefer, Jochbeine und Nasengerüst in einem Block frakturiert sind, kommen relativ selten vor.
Dislokation nach kaudal und dorsal mit Pseudoprogenie und frontal offenem Biss.
Neben der Le-Fort-Klassifikation gibt es eine Einteilung nach Wassmund:
- Typ Wassmund I: Pyramidenfraktur (Le Fort II) ohne das Nasenskelett.
- Typ Wassmund II entspricht Typ Le Fort II.
- Typ Wassmund III: Abbruch des Oberkiefers und der Jochbeine (Le Fort III) ohne das Nasenskelett.
- Typ Wassmund IV entspricht Typ Le Fort III.
Alle Mittelgesichtsfrakturen können mit Unterkiefer- und Gelenkfortsatzbrüchen kombiniert sein. Ferner kommen gleichzeitig fronto-basale und latero-basale Schädelbasisfrakturen vor.
Symptomatik:
Ödeme und Hämatome der Oberlippe und der Wangen, bei Pyramidenfrakturen und kombinierten Mittelgesichtsfrakturen auch der Nase und der Lider.
Verlängerung des Mittelgesichts bei Frakturen vom Typ Le Fort II und III.
Blutungen aus der Nase.
Subkonjunktivale Blutungen.
Protrusion bulbi bei retrobulbären Blutungen.
Tiefstand des Auges mit Diplopie (Doppelbildern) bei Kaudalverlagerung des Orbitabodens.
Stufenbildung am unteren Orbitarand, an der Sutura zygomatico-frontalis, am Jochbogen und an der Crista zygomatico-alveolaris.
Taubheitsgefühl im Ausbreitungsgebiet der N. infraorbitalis bei Quetschung oder Abriss des Nervs.
Okklusionsstörung mit offenem Biss durch dorsale und kaudale Dislokation des Oberkiefers (Pseudoprogenie).
Abnorme Beweglichkeit des frakturierten Oberkiefers.
Bei Sagittalfrakturen Aufsprengung der Raphe palatina, Diastema und abnorme Beweglichkeit der beiden Oberkieferteile.
Behinderung der Mundöffnung bei Jochbeinfrakturen, wenn der Processus muscularis des Unterkiefers bei der Öffnungsbewegung auf den imprimierten Jochbogen stößt.
Röntgenuntersuchung:
Nasennebenhöhlenaufnahme:
Frakturlinien am unteren und lateralen Orbitarand, am Jochbogen, an der lateralen Kieferhöhlenwand und im Bereich des Nasenskeletts.
Kieferhöhlen durch Einblutungen verschattet.
Tiefstand des Orbitabodens.
Lumen der Kieferhöhle bei Jochbeinfraktur eingeengt.
Schädelaufnahme p.a.:
Ergänzt die Nasennebenhöhlenaufnahme, ersetzt sie aber nicht.
Computertomographie:
Bei Dislokation des Orbitabodens und bei Verdacht auf Schädelbasisfraktur.
Konservative Therapie
Reposition und Fixation der frakturierten Fragmente ohne Zuhilfenahme operativer Verfahren, ausgenommen Zahnentfernung aus dem Bruchspalt und operative Versorgung von Weichteilverletzungen.
Kontrollierte Spontanheilung:
Spontanheilung ist möglich, wenn der Oberkiefer oder das Jochbein nicht oder nur minimal beweglich ist und keine Dislokation vorliegt.
Indikation und Therapie: Wie bei Unterkieferfrakturen (siehe Frakturen des Unterkiefers).
Monomaxilläre Fixation:
Indikation:
Bei Alveolarfortsatzfrakturen, wenn noch ein Teil des Alveolarfortsatzes nicht mitfrakturiert ist. Ferner bei zygomatiko-maxillären und einseitigen Sagittalfrakturen des Oberkiefers.
Therapie:
- Nach Reposition des frakturierten Fragments Anlegen einer Draht-Kunststoff-Schiene mit Gaumenplatte oder einer im Labor hergestellten Prothesenschiene.
- Der Schienenverband kann nach sechs Wochen entfernt werden
Operative Therapie
Eine mandibulo-maxilläre Fixation reicht zur stabilen Ruhigstellung einer Oberkieferfraktur nicht aus, weil der Unterkiefer über die Mundöffner- und Kaumuskeln bewegt werden kann. Es ist daher zusätzlich eine Fixation am Schädel notwendig.
Reposition der frakturierten Mittelgesichtsfragmente:
- Manuelle Reposition bei frischen Frakturen.
- Extension bei älteren Frakturen (nach Ablauf einer Woche). Durch Rollenextension (siehe Frakturen des Gelenkfortsatzes) ist es möglich, das nach dorsal abgesunkene Mittelgesicht innerhalb von zwei Tagen einzustellen.
- Mobilisation eines dislozierten, aber schon weitgehend festen Oberkiefers durch mandibulo-maxilläre Gummizüge.
Nach Reposition kommen folgende Fixationsverfahren zur Anwendung:
Kraniofaziale Drahtaufhängungen:
Die früher übliche Fixation durch kraniofaziale Drahtaufhängungen ist heute weitgehend durch Miniplattenosteosynthesen verdrängt worden.
Vereinzelt vorgenommen werden noch die folgenden Drahtaufhängungen:
- Jochbogenaufhängung:
Aufhängung an den Jochbögen:
Indikation:
Frakturen vom Typ Le-Fort-I und II.
Therapie:- Umschlingung der Jochbögen mit Aufhängedrähten, die an der Oberkieferschiene fixiert werden.
- Mandibulo-maxilläre Fixation für drei Wochen.
- Die Aufhängedrähte und die Oberkieferschiene werden weitere drei Wochen belassen und dann entfernt.
- Aufhängung an der Apertura piriformis:
Aufhängung am seitlichen Rand der Apertura piriformis.
Indikation:
Bei Kindern nach Frakturen von Typ Le-Fort-I und II zusätzlich zur Jochbogenaufhängung. Die Jochbögen sind bei Kindern oft so dünn, dass die Stabilität in Frage gestellt wird.
Therapie: - Es werden Bohrlöcher an den seitlichen Rändern der Apertura piriformis angelegt zur Aufnahme der Aufhängedrähte.
- Befestigung der Aufhängedrähte im Frontzahnbereich der Oberkieferschiene.
Osteosynthesen:
- Miniplattenosteosynthese:
Funktionsstabile Osteosynthesen können auch bei Mittelgesichtsfrakturen vorgenommen werden. Voraussetzung für eine ausreichende Stabilität ist eine genügende Knochendicke. Aus diesem Grunde können Miniplatten funktionsstabil nur an den Orbitarändern, an der Crista zygomatico-alveolaris, am knöchernen Rand der Apertura piriformis und an der Nasenwurzel angebracht werden. Die Funktionsstabilität erstreckt sich allerdings nur auf die an den Mittelgesichtsknochen angreifenden Muskelkräfte.
Die Stabilität reicht daher für eine mandibulo-maxilläre Fixation nicht aus, weil die in den Mittelgesichtsknochen verankerten Schrauben den am Unterkiefer angreifenden Muskelkräften nicht standhalten können.
Das AO-Miniplattensystem benutzt Minikompressionsplatten und Platten mit neutralen Löchern ohne Kompressionswirkung sowie abgewinkelte und fortlaufende Platten.
Das Miniplattensystem nach Luhr arbeitet mit Vitalliumplatten, die Kompressionslöcher und neutrale Löcher haben, sowie mit Winkelplatten.
Indikation:
Dislozierte Jochbeinfrakturen, die nach Hakenreposition (s. unten) nicht ausreichend stabil sind.
Mittelgesichtsfrakturen vom Typ Le Fort I, II und III.
Sagittalfrakturen.
Therapie:- Einstellung der Okklusion und Fixation durch mandibulo-maxilläre Ligaturen.
- Miniplattenosteosynthesen:
- Le-Fort-I-Fraktur: Crista zygomatico-alveolaris und Apertura piriformis.
- Le-Fort-II-Fraktur: Unterer Orbitarand und Crista zygomatico-alveolaris.
- Le-Fort-III-Fraktur: Seitlicher Orbitarand.
- Gegebenenfalls bei zusätzlicher Sagittalfraktur an der Apertura piriformis unterhalb des Nasenbodens und bei Le-Fort-II- und -III-Fraktur zusätzlich an der Nasenwurzel.
- Die mandibulo-maxillären Ligaturen können in der Regel am Ende der Operation entfernt werden.
- Wenn bei Trümmerfrakturen und atypischem Frakturverlauf auf eine postoperative mandibulo-maxilläre Fixation nicht verzichtet werden kann, empfiehlt es sich, noch zusätzlich eine kraniofaziale Drahtaufhängung vorzunehmen.
- Drahtaufhängung und Schienenverband können nach sechs Wochen entfernt werden.
- Röntgenkontrolle.
- Metallentfernung nach drei Monaten.
- Hakenreposition des Jochbeins:
Reposition des dislozierten Jochbeins mit einem einzinkigen Knochenhaken.
Indikation:
Dislozierte Jochbeinfraktur.
Therapie:- Perkutanes Einstechen des Hakens unterhalb des Jochbogens. Das hauptsächlich nach medial dislozierte Jochbein wird hinter der Crista zygomatico-alveolaris gefasst und durch Zug am Haken reponiert.
- Die Reposition ist vollständig, wenn die Stufe am unteren Orbitarand verschwunden ist, der Jochbogen eine normale Wölbung aufweist und der Processus muscularis des Unterkiefers bei der Mundöffnung nicht mehr an das Jochbein stößt.
- Bei frischen Frakturen bleibt das reponierte Jochbein in der Regel so stehen. Eine Fixation ist dann nicht notwendig. Postoperativ ist weiche Kost für zwei bis drei Wochen angezeigt.
- Bei veralteten Frakturen ist eine Miniplattenosteosynthese am lateralen Orbitarand in jedem Fall erforderlich.
- Postoperative Röntgenkontrolle durch Nasennebenhöhlenaufnahme. Bei nicht einwandfreier Stellung ist eine Osteosynthese notwendig.
- Hakenreposition des Jochbogens:
Bei isolierten Jochbogenfrakturen wird die Reposition ebenfalls mit dem Knochenhaken vorgenommen.
Eine Fixation ist meistens nicht notwendig.
Ergibt die Röntgenkontrolle eine unzureichende Reposition, so ist eine Osteosynthese mit einer Miniplatte erforderlich.
- Revision der Orbita:
Indikation:
Bei Jochbein- und kombinierten Mittelgesichtsfrakturen, die mit Dislokation des Orbitabodens und Diplopie einhergehen und bei isolierten Frakturen des Orbitabodens (blow-out-fracture).
Therapie:- Vom unteren Orbitarand wird subperiostal in die Orbita eingegangen. Das zwischen den Bruchstücken eingeklemmte oder in die Kieferhöhle dislozierte Orbitagewebe wird reponiert. Eine erneute Verlagerung wird durch Einlagerung einer resorbierbaren Folie verhindert. Liegt gleichzeitig eine Fraktur am Orbitarand vor, so wird diese durch Osteosynthese versorgt.
- Bei Trümmerfrakturen des Orbitabodens kann die Reposition nur nach Eröffnung der Kieferhöhle und Anlegung eines Nasenfensters durch eine Tamponade der Kieferhöhle oder durch Einlagerung eines mit Wasser gefüllten Gummiballons erreicht werden.
- Nach 10 bis 14 Tagen wird die Tamponade oder der Gummiballon nach Ablassen des Wassers über das Nasenfenster entfernt.